Kubinzky, K. A. & Wentner, A. M.: Grazer Straßennamen / Herkunft und Bedeutung, Leykam, 1996 / Rezension von Krusche Martin
Kubinzky, K. A. & Wentner, A. M.: Grazer Straßennamen
Wenn man in Graz zuhause ist oder von dort herkommt, wird man das Buch mögen. Aber auch die allgemeine Befassung mit der Geschichte der Steiermark legt eine Anschaffung nahe. Man bekommt eine Fülle von Anregungen, die einen dann eventuell auch in anderen Büchern blättern lassen. Ich hab es gemocht, zu den vielen geläufigen Klangbildern nun auch konkrete Geschichten zu erhalten. Wer Jahre in Graz gelebt hat, ist vielfach mit Straßennamen vertraut, ohne die geringste Ahnung von deren Bedeutung zu haben.
In meinen Kindertagen habe ich es „Rei-tschull-gasse“ ausgesprochen und so klingt es heute noch in meinen Ohren. Wie sollte ich aus der Reitschulgasse die einstige Reitschule heraushören, die um 1722 in den quer liegenden Mondscheingasse erbaut wurde? Die wäre übrigens im Amerika nach der Prohibition wohl ein Hinweis auf vormals illegales Schnapsbrennen gewesen: moonshining. Kommt fast hin! Die Gasse hat ihren Namen vom 1826 erstmals erwähnten Gasthaus „Zum Mondschein“. (Nun ahnen Sie wohl, was der Begriff „Säufersonne“ bezeichnet.)
In der Volksschule hatten wir gelernt, daß der Griesplatz auf einstmals Sand und Schotter an den Ufern der Mur schließen ließ, wie der Lendplatz mit dem Anlanden der Floße zu tun hatte. Massengüter konnten ja einst nur auf dem Wasserweg transportiert werden.
Die Glacisstraße war uns auch aus Schultagen bekannt, wo das Glacis als freies Feld vor einem Festungsbau erläutert worden war. (Ein Begriff mit dem ich absolut nichts verband.) Also gab es Stadtmauern, in denen etwa das Paulustor eine Durchlaß bildete. Weitaus ziviler dagegen der Banngrabenweg. Er hat nichts mit einer Kriegsfront zu tun, sondern mit Hochwasserschutz. (Es hat mir übrigens Spaß gemacht, die Adressen von Freunden im Buch aufzustöbern.)
Den Jakominiplatz nannten wir als Teenager bloß „Tschäcki“. Namensgeber Caspar Andreas Edler von Jakomini war uns nicht geläufig und völlig egal. Zum Dietrichsteinplatz blieb irgendwann hängen, daß hier solider österreichischer Adel im Spiel war. Später konnten aufmerksame Leute bezüglich unserer Innenpolitik darauf stoßen, daß dieser Zweig in der Familie Mensdorff-Pouilly aufgegangen ist, deren prominentester Sproß Alfons Eduard Alexander Antonius Maria Andreas Hubertus Christoph Mensdorff-Pouilly ist, Ministerinnen-Gatte und laut Wikipedia „österreichischer Großgrundbesitzer, Forstwirt, Waffenhändler und Lobbyist“. Dazu gibt es in Graz aber kein passendes Straßenschild.
Über Schilder zu kontaminierten Geschichten werde ich mich hier nicht breiter auslassen. Graz hat etliche. Hans Kloepfer, Ottokar Kernstock oder Max Mell sind zum Beispiel ideologisch belastet, dafür literarisch ziemlich unbedeutend. Es bleibt unklar, was den Erhalt dieser Straßennamen begründet.
Conrad Freiherr von Hoetzendorffs Name darf immer noch den größten Boulevard von Graz zieren. Österreichs Oberkommandierende hatten im Großen Krieg eine deprimierende Dichte an Fehlleistungen und Kompetenzmängeln zur Wirkung gebracht, wovon man etwa in der fulminanten Arbeit von Manfried Rauchensteiner viel zu lesen bekommt. Das hat also was herzig Österreichisches, denn dieser Hoetzendorff war ein Monument jener problematischen Zustände. (Mich wundert fast, daß wir in Graz keine Oskar Potiorek-Gasse haben.)
Graz hat einen Kaiser-Josef-Platz, zusätzlich einen Kaiser-Franz-Josef-Kai, obwohl ich nicht zu sagen wüßte, was dieser Mann bemerkenswert Gutes für das Land getan hätte. Eine Franz-Ferdinand-Gasse wird man dagegen umsonst suchen, obwohl der Thronfolger in Graz geboren wurde und politisch gesehen ein interessanter Aristokrat war. Dagegen bringt es Erzherzog Johann auf eine Straße und eine Allee. (Er dominiert übrigens auch den Brunnen auf dem Hautplatz.) Die Brandhofgasse ist dann freilich was für verfeinerte Heimatkunde. Zugegeben, ein etwas antiquierter Begriff. Dazu paßt auch die Merangasse. (Ich verrate den Zusammenhang nicht!)
Der Esperantoplatz hat mich als Kind erstaunt. Ich fand den Klang schön und konnte mir unter der Bedeutung nichts vorstellen. Mit einem Schillerplatz, einer Beethoven- oder Mozartgasse kommen bestimmt auch Leute zurecht, die an Kultur eher kein Interesse haben.
Bezüglich Ghegagasse oder Körösistraße muß man schon von heimische Industriegeschichte eine Ahnung haben. Carl Ritter von Ghega mit seinen albanischen Eltern, ein Meister der Semmeringbahn. Josef Körösi, der ungarische „Ladlschupfer“ (Kaufmannsgehilfe), dem Graz die Andritzer Maschinenfabrik verdankt.
Und, ja, zum Beispiel Johann Puch, der sich ursprünglich Janez Puh schrieb, ein slowenischer Keuschler-Bub. Ich leg noch den Porscheweg drauf, denn Ferdinand war ein Jahrhundert-Ingenieur. Zur gehobenen Auskennerei zählt dann auch das Augenmerk auf die Maderspergergasse, was zu Puch paßt, denn Nähmaschinen und Fahrräder wurden seinerzeit oftmals in den gleichen Geschäften angeboten und repariert.
Amüsantes Detail, Graz hat eine Karl-Morre-Straße, die nach einem Volksschriftsteller und Politiker benannt wurde. Als ich den Offsetdruck erlernt habe, mußten dazu Fotos gerastert, also mit einem Punkt-Muster belegt werden. Wenn man aber gerasterte Fotos als Vorlage benutzte, konnte das neuerliche Rastern einen abenteuerlichen optischen Effekt generieren, der das Motiv meistens verdarb. Der sogenannten Moiré-Effekt. Wegen der phonetischen Nähe zwischen Morre und Moiré nannte wir das „einen Karl machen“. („Host scho wieda an Koarl produziert!“)
So könnte ich nun weiter erzählen, schwadronieren, mich von Hundertsten ins Tausendste verlieren. So geht es einem beim Blättern in diesem Buch, beim ziellosen Schmökern. Es funktioniert als Lesebuch ebenso wie als Nachschlagwerk. Es ist unterhaltsam und bietet Anregungen, manches Thema in anderen Medien weiter zu verfolgen. Das gefällt mir so an dieser Publikation, von der ich mir, als ein Freund der Antiquariate, eine ältere Ausgabe beschafft hatte, obwohl gerade eine neue Version erschienen war.
- Krusches Rezensionen